Ein Mensch und sein Hund in einer ruhigen, vertrauensvollen Moment mit Blickkontakt, der eine faire und gleichberechtigte Beziehung symbolisiert.
Veröffentlicht am August 11, 2025

Die weit verbreitete Annahme, man müsse der „Alpha“ oder „Boss“ seines Tieres sein, ist wissenschaftlich überholt und schadet der Beziehung mehr, als sie nützt.

  • Wahre Führung basiert nicht auf Dominanz, sondern auf souveräner Verlässlichkeit und dem Schaffen von Sicherheit.
  • Moderne Verhaltensforschung zeigt, dass Tiere einen verlässlichen Partner brauchen, der ihnen Orientierung gibt, keinen autoritären Vorgesetzten.

Empfehlung: Ersetzen Sie veraltete Dominanzrituale durch klare, faire Alltagsregeln und positive Interaktionen, um eine tiefe Vertrauensbasis und eine kooperative Partnerschaft mit Ihrem Tier aufzubauen.

Der Wunsch nach einer harmonischen Beziehung zu unserem tierischen Begleiter ist universell. Wir sehnen uns nach einem eingespielten Team, in dem Kommunikation fast wortlos funktioniert und ein tiefes gegenseitiges Verständnis herrscht. Doch auf dem Weg dorthin begegnen vielen Tierhaltern Ratschläge, die tief in veralteten Vorstellungen verwurzelt sind: Man müsse der „Rudelführer“ sein, „Dominanz zeigen“ und dem Tier klarmachen, „wer der Boss ist“. Diese Konzepte, oft abgeleitet von überholten Wolfsstudien, halten sich hartnäckig und führen zu Verunsicherung und nicht selten zu Methoden, die das Vertrauen untergraben, statt es zu fördern.

Diese gut gemeinten, aber fehlgeleiteten Ansätze übersehen einen fundamentalen Aspekt der Mensch-Tier-Beziehung. Sie basieren auf einem Konkurrenzdenken, das der wahren Natur unserer Haustiere nicht gerecht wird. Was, wenn der Schlüssel zu einer tiefen Bindung nicht darin liegt, einen Kampf um die „Alpha-Position“ zu gewinnen, sondern darin, eine Quelle unerschütterlicher Sicherheit und Verlässsigkeit zu werden? Was, wenn Ihr Tier keinen Boss braucht, sondern einen souveränen Partner, einen Fels in der Brandung, an dem es sich orientieren kann?

Dieser Artikel bricht mit dem Mythos des dominanten Rudelführers und zeigt einen modernen, wissenschaftlich fundierten Weg auf. Wir werden untersuchen, warum das Konzept des „Alphawolfs“ im Wohnzimmer ein Missverständnis ist und wie Sie stattdessen durch klare Regeln, faire Privilegien und emotionale Unterstützung zu dem verlässlichen Partner werden, den Ihr Tier wirklich braucht. Es geht darum, Führung durch Kompetenz und Vertrauen zu etablieren, nicht durch Einschüchterung. So entsteht eine Partnerschaft, die auf Kooperation und gegenseitigem Respekt beruht – die Basis für ein entspanntes und glückliches Zusammenleben.

Für alle, die das Thema lieber visuell aufbereitet sehen möchten, fasst das folgende Video die Kernkritik am überholten „Alpha-Wolf“-Mythos prägnant zusammen und bietet einen guten Einstieg in die moderne Sichtweise der Mensch-Hund-Beziehung.

Dieser Leitfaden ist in klare Abschnitte unterteilt, die Ihnen helfen, die alten Mythen hinter sich zu lassen und eine neue, auf Vertrauen basierende Beziehung zu Ihrem Tier aufzubauen. Entdecken Sie, wie Sie vom Befehlsgeber zum verlässlichen Partner werden.

Inhaltsverzeichnis: Der Weg zur fairen Sozialstruktur im Mensch-Tier-Team

Warum Ihr Hund Sie nicht dominieren will: Abschied vom Mythos des Alphawolfs im Wohnzimmer

Die Vorstellung eines ständigen Machtkampfes, bei dem der Hund versucht, die „Weltherrschaft“ im Haushalt an sich zu reißen, prägt seit Jahrzehnten die Hundeerziehung. Doch diese Idee basiert auf einem fundamentalen Missverständnis. Der Begriff des „Alphawolfs“, der um seine Position kämpft, stammt aus Beobachtungen von Wölfen in Gefangenschaft – also künstlich zusammengestellten Gruppen nicht verwandter Tiere. In der Wildnis sieht die Realität anders aus. Verhaltensforscher betonen, dass Wölfe in freier Wildbahn typischerweise in Familienverbänden leben, die aus den Elterntieren und ihrem Nachwuchs bestehen. Die Eltern nehmen dabei ganz natürlich eine führende und anleitende Rolle ein, ohne dass dies durch ständige Kämpfe etabliert werden muss.

Der Wissenschaftler, der die Alpha-Theorie ursprünglich populär machte, David L. Mech, hat seine eigenen Forschungen bereits Ende der 1990er Jahre widerrufen, nachdem er das natürliche Verhalten von Wolfsfamilien studiert hatte. Er selbst setzt sich heute dafür ein, den irreführenden Begriff „Alpha“ nicht mehr zu verwenden. Unsere Hunde sind zudem keine Wölfe, die in unserem Wohnzimmer ein Rudel gründen wollen. Vielmehr suchen sie nach einer sicheren sozialen Struktur, in der sie sich orientieren können. Ein Hund, der aufs Sofa springt oder als Erster durch die Tür geht, will Sie nicht „dominieren“ – er handelt oft aus Gewohnheit, Komfort oder Unsicherheit.

Die Fixierung auf Dominanz lenkt vom Wesentlichen ab: dem Aufbau einer sicheren Bindung. Ein Hund, der seinem Menschen vertraut, kooperiert freiwillig, nicht weil er unterworfen wurde. Wahre Führung zeigt sich nicht darin, wer zuerst isst oder auf dem höchsten Platz schläft, sondern darin, wer in unsicheren Momenten Schutz und klare, verlässliche Orientierung bietet. Das Ziel ist nicht Unterwerfung, sondern eine Partnerschaft, die auf gegenseitigem Verständnis und Vertrauen beruht.

Der Rudelführer-Mythos: Warum Ihr Tier keinen Boss, sondern einen verlässlichen Partner braucht

Der Abschied vom Dominanzmodell bedeutet nicht, führungslos zu werden. Im Gegenteil: Ihr Tier braucht eine klare Führung, aber es braucht keinen „Boss“, der Befehle erteilt und blinden Gehorsam erwartet. Es braucht einen verlässlichen Partner, der souverän Entscheidungen trifft und Sicherheit vermittelt. Der entscheidende Unterschied liegt in der Haltung: Ein Boss kontrolliert, ein Partner führt einen Dialog und achtet auf die Bedürfnisse und Signale des anderen. Er ist bereit, seine Strategie anzupassen, um gemeinsam zum Ziel zu kommen.

Diese partnerschaftliche Rolle lässt sich am besten mit der eines guten Elternteils vergleichen. Eltern geben ihren Kindern Regeln und Grenzen, nicht um sie zu dominieren, sondern um sie zu schützen und ihnen die Welt zu erklären. Sie haben Verpflichtungen gegenüber dem Kind, nicht nur Rechte. Genauso ist es in der Mensch-Tier-Beziehung. Als Halter haben Sie die Verantwortung, die richtigen Entscheidungen für das Wohl Ihres Tieres zu treffen, weil Sie über mehr Erfahrung und Weitblick verfügen. Diese Verantwortung ist die wahre Grundlage Ihrer „Führungsposition“.

Die moderne Forschung unterstützt dieses Bild. So zeigt eine Studie der Eötvös-Loránd-Universität, dass die Mensch-Hund-Beziehung positive Aspekte von Eltern-Kind-Bindungen und Freundschaften kombiniert. Ihr Hund sieht in Ihnen also nicht einen Rivalen um die Macht, sondern eine Bezugsperson, die Schutz, Fürsorge und Orientierung bietet. Indem Sie diese Rolle annehmen, schaffen Sie eine Beziehung, die auf Kooperation statt Konfrontation basiert. Sie werden zu jemandem, dem Ihr Tier freiwillig folgt, weil es gelernt hat, dass Ihre Entscheidungen zu positiven Ergebnissen führen und dass es sich bei Ihnen sicher fühlen kann.

Sei der Fels in seiner Welt: Warum Verlässlichkeit die Währung des Vertrauens ist

Wenn Führung nicht durch Dominanz entsteht, worauf baut sie dann? Die Antwort ist einfach und doch tiefgreifend: Verlässlichkeit. Ihr Tier muss lernen können, dass Ihre Reaktionen und Handlungen vorhersehbar sind. Diese Vorhersehbarkeit schafft eine sichere und stressfreie Umgebung. Ein Hund, der nicht weiß, ob auf sein Verhalten eine liebevolle Reaktion oder ein plötzlicher Tadel folgt, lebt in ständiger Anspannung. Diese Inkonsistenz ist einer der größten Vertrauensbrüche in einer Beziehung.

Verlässlichkeit bedeutet, dass Regeln konsequent gelten und dass Ihre emotionale Verfassung stabil ist. Es bedeutet, dass ein Rückrufsignal immer zu etwas Positivem führt und niemals als „Falle“ benutzt wird, um das Tier für etwas Unangenehmes einzufangen. Jeder Vertragsbruch, selbst ein kleiner – wie dem Hund nonverbal einen Spaziergang zu versprechen und dann doch umzudrehen –, untergräbt die Vorhersehbarkeit und damit das Vertrauen. Gerade unsichere Tiere leiden enorm unter der Inkonsequenz ihrer Menschen, weil sie die Welt nicht einschätzen können.

Die neurobiologische Wirkung von Verlässlichkeit ist messbar. Wie die neurowissenschaftliche Forschung beweist, senken Verlässlichkeit und Vorhersehbarkeit im Alltag den Cortisolspiegel (das Stresshormon) und schaffen so die Grundlage für eine sichere Bindung. Sie werden für Ihr Tier zum sprichwörtlichen „Fels in der Brandung“ – eine Konstante in einer oft chaotischen Welt. Dieses Gefühl der Sicherheit ist die Basis, auf der Ihr Tier bereit ist, Ihnen die Führung zu überlassen. Es folgt Ihnen nicht, weil es muss, sondern weil es gelernt hat, dass Sie eine vertrauenswürdige Quelle der Sicherheit und Orientierung sind.

Klare Regeln, entspanntes Tier: 5 Alltagsrituale, die Ihrem Hund Sicherheit statt Dominanz vermitteln

Verlässlichkeit wird im Alltag durch klare Regeln und wiederkehrende Rituale konkret erlebbar. Rituale sind mehr als nur trainierte Kommandos; sie sind vorhersehbare Abläufe, die dem Tag eine Struktur geben und dem Tier helfen, die Welt zu verstehen. Sie fungieren als Ankerpunkte, die Sicherheit vermitteln und Erwartungen klären. Statt Unsicherheit und Stress zu erzeugen, schaffen sie eine Atmosphäre der Ruhe und des Vertrauens.

Eine Familie führt ein wiederkehrendes morgendliches Ritual mit ihrem Hund durch – strukturiert, ruhig und vorhersehbar, das Sicherheit und Geborgenheit vermittelt.

Wie die Abbildung eines ruhigen Morgenrituals zeigt, geht es nicht um militärischen Drill, sondern um eine beruhigende, gemeinsame Routine. Solche ritualisierten Handlungen haben eine nachweislich positive Wirkung. Sie reduzieren Verunsicherung und, wie wissenschaftliche Studien belegen, senken nachweislich den Cortisol-Level. Feste Fütterungszeiten, eine strukturierte Routine vor dem Spaziergang oder ein ruhiges Abschiedsritual signalisieren Ihrem Hund: „Alles ist in Ordnung, ich habe die Kontrolle, du kannst dich entspannen.“

Hier sind fünf einfache, aber wirkungsvolle Alltagsrituale, die Sicherheit schaffen:

  • Strukturierte Abfahrtsroutine: Etablieren Sie feste Handlungen vor dem Gassigehen, wie das ruhige Anlegen des Geschirrs oder ein kurzes Sitzenbleiben an der Tür. Dies fördert die innere Ruhe, bevor es nach draußen geht.
  • Konsistentes Fütterungsritual: Feste Zeiten und ein gleichbleibender Ablauf bei der Fütterung geben dem Tag eine verlässliche Struktur.
  • Ruhige Ankunfts- und Abschiedsrituale: Vermeiden Sie übermäßige Aufregung beim Verlassen des Hauses und bei der Rückkehr. Kurze, ruhige Übergänge signalisieren, dass beides normal und unproblematisch ist.
  • Tägliche Ruhephasen: Planen Sie bewusst gemeinsame Entspannungszeiten ein, sei es durch ruhiges Kuscheln, eine Massage oder das Anbieten einer Kauaktivität.
  • Etablierte Schlafenszeit-Routine: Ein fester Ablauf vor der Nachtruhe, wie eine letzte kleine Runde und ein fester Schlafplatz, bietet Geborgenheit.

Durch solche Rituale übernehmen Sie auf subtile, aber kraftvolle Weise die Führung. Sie zeigen Ihrem Tier, dass es sich auf Sie verlassen kann, und schaffen so ein Umfeld, in dem es sich nicht genötigt fühlt, selbst die Kontrolle übernehmen zu müssen.

Ihr Fels in der Brandung: Wie Sie Ihrem unsicheren Hund in Stresssituationen wirklich helfen

Die wahre Qualität Ihrer Führungsrolle zeigt sich nicht in alltäglichen, einfachen Situationen, sondern dann, wenn es schwierig wird. Für ein unsicheres oder ängstliches Tier können Begegnungen mit fremden Hunden, laute Geräusche oder unbekannte Umgebungen schnell zu einer Überforderung führen. In diesen Momenten braucht Ihr Tier keinen „strengen Boss“, der Gehorsam einfordert, sondern einen souveränen Partner, der es durch die Situation begleitet. Dieses Konzept nennt sich Co-Regulation.

Co-Regulation bedeutet, dass Sie Ihrem Tier aktiv dabei helfen, sein emotionales Gleichgewicht wiederzufinden. Anstatt es mit seiner Angst allein zu lassen, bieten Sie ihm durch Ihre eigene Ruhe und Präsenz Unterstützung. Ihre entspannte Körperhaltung und eine tiefe, ruhige Atmung übertragen sich auf das Nervensystem Ihres Tieres und signalisieren: „Ich bin hier, ich habe die Lage unter Kontrolle, du musst keine Angst haben.“ Es geht darum, emotionalen Support zu geben, damit das Tier lernt, Herausforderungen zu meistern, anstatt sie nur zu ertragen.

Die enge emotionale Verbindung zwischen Mensch und Tier ist sogar wissenschaftlich messbar. So belegen Studien der Universität Linköping, dass sich der Cortisol-Spiegel von Hunden dem ihrer Besitzer angleicht. Wenn Sie gestresst sind, wird Ihr Hund es wahrscheinlich auch. Umgekehrt bedeutet dies aber auch: Wenn Sie lernen, in Stresssituationen ruhig und souverän zu bleiben, werden Sie zur wichtigsten Ressource für Ihren Hund. Sie werden zu seinem sicheren Hafen, zu seinem Fels in der Brandung.

Ihr Plan zur Co-Regulation: So unterstützen Sie Ihr Tier aktiv

  1. Körperliche Präsenz zeigen: Bleiben Sie in stressigen Momenten ruhig an der Seite Ihres Tieres. Ihre tiefe Atmung und eine entspannte Haltung wirken direkt auf sein Nervensystem.
  2. Emotionale Sicherheit statt Mitleid bieten: Validieren Sie die Gefühle Ihres Tieres („Ich sehe, das macht dir Angst“), aber befähigen Sie es durch kleine, lösbare Aufgaben, anstatt es in seiner Angst zu bestärken.
  3. Das Stress-Budget managen: Erkennen Sie, dass Stress sich über den Tag ansammelt. Verteilen Sie herausfordernde Reize und planen Sie ausreichend Ruhephasen ein, um eine Überlastung zu vermeiden.
  4. Eine sichere Basis schaffen: Etablieren Sie einen Rückzugsort (z. B. eine Box oder ein bestimmtes Körbchen), an den sich Ihr Tier bei Überreizung zurückziehen kann und wo es absolute Ruhe hat.
  5. Positive Erfahrungen ermöglichen: Gestalten Sie stressauslösende Situationen in kleinen, kontrollierten Dosen positiv um, sodass Ihr Tier lernt, dass es mit Ihrer Unterstützung Herausforderungen erfolgreich bewältigen kann.

Wenn zwei sich streiten: So managen Sie die soziale Dynamik in einem Mehrkatzen- oder Mehrhundehaushalt

Die Prinzipien der fairen Führung und des Ressourcenmanagements werden besonders wichtig, wenn mehrere Tiere zusammenleben. In einem Mehrhunde- oder Mehrkatzenhaushalt sind Sie nicht nur Partner eines einzelnen Tieres, sondern der Mediator und Manager einer komplexen sozialen Gruppe. Konflikte, oft um Ressourcen wie Futter, Spielzeug oder die Aufmerksamkeit des Menschen, sind hier normal und nicht zwangsläufig ein Zeichen von „Dominanzgehabe“.

Ihre Aufgabe ist es, eine Struktur zu schaffen, die Konkurrenz minimiert und Kooperation fördert. Das bedeutet nicht, eine künstliche Rangordnung durchzusetzen, sondern für Fairness zu sorgen. Wie Expertenmeinungen zeigen, lassen sich Konflikte durch gezieltes Management effektiv reduzieren. Ein konsequentes und durchdachtes Training ist das Fundament für ein ausgeglichenes Zusammenleben. Es geht darum, klare Regeln zu etablieren, die für alle gelten, aber auch die individuellen Bedürfnisse jedes Tieres zu berücksichtigen.

Ein zentraler Punkt ist das Ressourcenmanagement. Stellen Sie sicher, dass es von wichtigen Dingen wie Futter, Wasser, Spielzeug und gemütlichen Liegeplätzen genug für alle gibt und diese räumlich so verteilt sind, dass kein Tier das Gefühl hat, seinen Anteil verteidigen zu müssen. Trainieren Sie jedes Tier zunächst einzeln, damit es Kommandos und Regeln ohne die Ablenkung durch die anderen verinnerlichen kann. Fördern Sie zudem bewusst gemeinsame positive Erlebnisse, wie strukturierte Spaziergänge oder gemeinsame Spiele, bei denen die Tiere lernen, dass die Anwesenheit des anderen eine Bereicherung ist. Als Mediator greifen Sie bei Spannungen frühzeitig und ruhig ein, nicht durch Bestrafung, sondern indem Sie die Situation deeskalieren und den Tieren alternative, erwünschte Verhaltensweisen aufzeigen.

Wer darf aufs Sofa? Wie Sie Privilegien fair vergeben und damit die Bindung zu Ihrem Tier stärken

Kaum eine Frage wird so oft im Kontext von Dominanz diskutiert wie die „Sofa-Frage“. Nach altem Denken ist das Sofa der „Thron“ des Rudelführers, und ein Hund, der es für sich beansprucht, strebt nach der Macht. Die moderne, beziehungsorientierte Sichtweise stellt diese Idee komplett auf den Kopf: Das Sofa ist kein Machtsymbol, sondern eine wertvolle Ressource für Nähe, Entspannung und Co-Regulation.

Körperkontakt ist für soziale Lebewesen von immenser Bedeutung. Er baut Stress ab und stärkt die Bindung. Dies ist nicht nur ein Gefühl, sondern ein biochemischer Prozess. Wie japanische Forschung belegt, schütten Hunde (und Menschen) beim liebevollen Anschauen oder Berühren das Bindungshormon Oxytocin aus – dasselbe Hormon, das die Mutter-Kind-Bindung festigt. Das gemeinsame Verweilen auf dem Sofa ist also keine Machtdemonstration, sondern eine „Einzahlung“ auf das Beziehungskonto. Es ist eine Gelegenheit, die Bindung zu stärken und gemeinsam zur Ruhe zu kommen.

Ob Ihr Tier aufs Sofa darf, ist daher keine Frage der Dominanz, sondern eine Ihrer persönlichen Regeln. Es ist ein Privileg, das Sie als souveräner Partner vergeben und auch wieder entziehen können. Wichtig ist die Klarheit: Wenn die Regel „aufs Sofa nur auf Einladung“ lautet, dann muss sie konsequent umgesetzt werden. Es geht nicht darum, den Platz zu verteidigen, sondern darum, eine faire und verständliche Regel zu etablieren. Anstatt in Kategorien von „erlaubt“ oder „verboten“ zu denken, können Sie situativ entscheiden: Nach einem stressigen Tierarztbesuch kann die Nähe auf dem Sofa heilsam sein, während es in einer aufgedrehten Spielsituation vielleicht gerade nicht passt. So nutzen Sie Privilegien bewusst, um die Beziehung zu gestalten und zu vertiefen, anstatt einen sinnlosen Machtkampf zu führen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Führung ist Partnerschaft, nicht Dominanz: Der „Alphawolf“-Mythos ist wissenschaftlich widerlegt. Ihr Tier braucht einen verlässlichen Partner, der Sicherheit bietet, keinen autoritären Boss.
  • Verlässlichkeit ist die Basis von Vertrauen: Klare, konsistente Regeln und vorhersehbare Reaktionen senken den Stress Ihres Tieres und schaffen eine sichere Bindung.
  • Ressourcen klug managen: Privilegien wie der Zugang zum Sofa oder die Verteilung von Futter sind Werkzeuge zur Beziehungsgestaltung und keine Symbole im Machtkampf.

Die Beziehungs-Formel: Die 4 Säulen einer wirklich tiefen und harmonischen Partnerschaft mit Ihrem Tier

Eine wirklich tiefe und harmonische Mensch-Tier-Beziehung entsteht nicht zufällig. Sie ist das Ergebnis bewusster Beziehungsarbeit, die weit über einfachen Gehorsam hinausgeht. Statt sich in überholten Dominanzkonzepten zu verlieren, können wir uns auf vier fundamentale Säulen konzentrieren, die eine starke, kooperative Partnerschaft tragen. Diese Säulen bilden eine Art „Beziehungs-Formel“, die als Kompass für den gemeinsamen Alltag dienen kann. Eine neue Studie aus Budapest zeigt sogar, dass die meisten Halter mit der Beziehung zu ihrem Hund zufriedener sind als mit den meisten zwischenmenschlichen Beziehungen.

Die vier Säulen einer tiefen Partnerschaft sind:

  1. Biologische Erfüllung: Dies ist das Fundament. Es geht darum, nicht nur Grundbedürfnisse wie Futter und Wasser zu decken, sondern dem Tier auch die Ausübung arttypischer Verhaltensweisen zu ermöglichen. Einem Hund das Schnüffeln, Erkunden und Buddeln zu erlauben, ist essenziell für sein Wohlbefinden und eine wichtige Einzahlung auf das Beziehungskonto.
  2. Freiwillige Kooperation: Der Fokus verschiebt sich von blindem Gehorsam hin zur Schaffung von Motivation. Anstatt das Tier zur Mitarbeit zu zwingen, schaffen wir durch positive Verstärkung und das Anbieten von Wahlmöglichkeiten eine intrinsische Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Das Tier arbeitet mit, weil es will, nicht weil es Angst vor den Konsequenzen hat.
  3. Emotionale Co-Regulation: Dies ist die Fähigkeit, aktiv einen gemeinsamen Zustand der Ruhe und Sicherheit herzustellen. Es bedeutet, die Emotionen des Tieres zu erkennen, ihm in stressigen Situationen beizustehen und ihm zu helfen, sein emotionales Gleichgewicht wiederzufinden.
  4. Geteilte Freude: Diese Säule ist dem reinen sozialen Miteinander gewidmet. Es geht um die bewusste Schaffung von gemeinsamen Erlebnissen, die keinem Trainingsziel dienen, sondern ausschließlich dem Spaß und der Freude an der gemeinsamen Zeit. Ob gemeinsames Spiel oder entspanntes Kuscheln – hier wird die soziale Bindung genährt.

Indem wir unser Handeln an diesen vier Säulen ausrichten, verlassen wir die Sackgasse der Dominanzdebatte und betreten den Weg einer echten Partnerschaft. Wir werden zu dem, was unser Tier wirklich braucht: ein souveräner, verlässlicher und liebevoller Sozialpartner.

Beginnen Sie noch heute damit, diese Prinzipien anzuwenden, um die Beziehung zu Ihrem Tier auf ein neues, unerschütterliches Fundament des Vertrauens und der Kooperation zu stellen.

Geschrieben von Anja Weber, Anja Weber ist eine zertifizierte Tierpsychologin und Verhaltensberaterin mit einem Jahrzehnt Erfahrung in der Arbeit mit Hunden und Katzen aus dem Tierschutz. Ihre Spezialität ist die komplexe Mensch-Tier-Beziehung und die Heilung von Verhaltensproblemen durch Verständnis und Empathie.